Kritik zu "Berlin Syndrom"
Niemand wird dich hören!
Ein Berliner Albtraum
Der Thriller Berlin Syndrom beschäftigt
sich mit dem, was uns allen als Kindern beigebracht wird. Gehe niemals mit
einem Fremden mit!
„Niemand wird dich hören.“ Diesen Satz sagt der Protagonist Andi aus
Cate Shortlands Berlin Syndrom zur Backpackerin
Claire. Erst will er ihr damit zeigen, dass sie sich beim Sex ruhig gehen
lassen kann. Doch später zeigt dieser Satz ihr, dass sie in Andis Wohnung in
einer verlassenen Gegend in Berlin eingesperrt ist.
Der 2017 veröffentlichte Film
beschreibt die Begegnung der australischen Backpackerin Claire und dem Lehrer
Andi, der Englisch an einer Sportschule unterrichtet. Die beiden begegnen sich kurz
nach Claires Ankunft wie zufällig in Berlin Kreuzberg und verbringen die Nacht
miteinander. Danach geht der junge Mann ihr nicht mehr aus dem Kopf. Anstatt wie geplant weiter zu ziehen,
entscheidet sich Claire Andi am nächsten Tag noch einmal aufzusuchen und will sogar
für ein paar Tage mit ihm in seine Wohnung ziehen. Diese liegt ruhig und
verlassen, was Claire schnell zum Verhängnis wird. Als sie am nächsten Morgen
die Wohnung verlassen will, ist sie eingesperrt. Das hält sie zunächst für ein
Versehen, denn Andi beteuert er war sich eigentlich sicher gewesen, dass er ihr
den Schlüssel dagelassen hätte. Doch als sie sich auch an den darauffolgenden Tagen
eingesperrt wiederfindet, wird ihr klar, dass es sich nicht um ein Versehen
handelt und sie mit Absicht eingeschlossen wurde. Ab diesem Zeitpunkt bildet
die runtergekommene Wohnung für die junge Australierin ein Gefängnis, aus dem
es scheinbar kein Entkommen gibt.
Stockholm Syndrom auf Berliner Art
Der Titel verweist auf das Stockholm Syndrom, bei dem sich ein
Entführungsopfer in seinen Entführer verliebt. Doch das ist bei Berlin Syndrom ganz anders, denn soweit
sich eine Möglichkeit ergibt, versucht
Claire um Hilfe zu schreien, die Aufmerksamkeit anderer Menschen auf sich zu
ziehen oder zu fliehen. Zwischen diesen
gewagten Fluchtversuchen hingegen, wirkt sie immer wieder wie eine liebende
Freundin für Andi, welcher im Thriller keinesfalls als grausamer oder eiskalter
Entführer dargestellt wird. Es wirkt viel
mehr als würde er Claire aufrichtig lieben und sie nur fest halten, weil er sie
nicht verlieren kann. Diese Verlustangst kommt, wie der Film im Dialog mit
seinem Vater zeigt, daher, dass er seine Mutter früh verlor. Claire spielt also,
wenn sie erneut ihre Flucht plant, sein Spiel mit. Sie kocht für ihn, tröstet
ihn, als sein Vater stirbt und schläft sogar mit ihm, ohne dass er sie dazu
nötigt. Aber auch Andi gibt ihr einiges zurück, er bringt ihr immer wieder
kleine Geschenke oder Blumen mit, wenn er von der Arbeit heimkommt, sodass es,
wenn man die Entführung außer Acht lässt, fast wie eine normale Beziehung
wirkt. Das führt zu einer Mischung der Genres Drama und Thriller, was dem
Zuschauer das Gefühlt gibt, dass Berlin
Syndrom nichts Halbes und nichts Ganzes sei. Es ist nicht möglich, sich
vollkommen auf den Aspekt des Thrillers einzulassen, weil zwischendurch
liebevolle Elemente auftauchen, die den Zuschauer fast an die Liebe der beiden
glauben lassen. Auch kann man sich nicht voll auf das Genre des Dramas
einlassen, weil man als Zuschauer immer im Hinterkopf behält, dass es sich um
eine Entführung handelt.
Eine Parabel auf die DDR
Am Anfang ihrer Reise sieht man
Claire, wie sie am Kottbusser Tor Fotos macht und auch in weiteren Sequenzen
wird immer wieder Berlin gezeigt. Die Regisseurin wählt Berlin ganz bewusst als
Schauplatz für ihren Film, denn sie möchte ihn als eine Parabel auf die DDR
verstanden wissen. Andi, der Entführer verkörpert hierbei den Diktator, der
versucht den Totalitarismus in seiner Beziehung auszuleben und sich in seiner
runtergekommen Wohnung ein Regime aufbaut, indem er über Claire, die das Volk
in seiner Ambivalenz symbolisiert, herrscht. Die Gefühle der Gefangenen bewegen
sich zwischen Fluchtgedanken, welche sie in die Tat umsetzt, und Hass, aber auch Zuneigung für ihren
Entführer. Damit stellt sie die Gedanken und Gefühle des Volkes zu DDR Zeiten
gut dar.
Max Riemelt als sympathischer Entführer
Als Besetzung für die beiden
Hauptfiguren wählt Shortland für ihren dritten Spielfilm (nach Somersault – Wie Parfum in der Luft und Lore, 2012) Teresa Palmer und Max Riemelt. Gerade Riemelt,
den man aus Filmen wie Der vierte Mann (2012), Heiter bis wolkig (2012) oder der Serie Sense 8 (seit 2015) kennt, stellt sich
als gute Wahl heraus. Er schafft es am Anfang des Films, einen netten und
freundlichen Mann darzustellen, dem man es allein vom äußeren her schon nicht
zutraut einem anderen Menschen etwas anzutun. Im Laufe des Filmes gelingt es
ihm gut immer mehr von den dunklen und psychisch kranken Seiten des
Englischlehrers zu zeigen.
Ein herausgezögertes Ende
Gegen Ende des Thrillers zieht
sich die Geschichte zu sehr. Während am Anfang die Spannung stets
aufrechterhalten wird, wird das Ende zu weit herausgezögert. Es ist nur noch
ein Wechselspiel aus Beziehung und Fluchtversuchen. Die Spannung steigt kurz an,
wenn Claire versucht zu fliehen, da man wissen will, ob es ihr endlich gelingt.
Das Ende wäre schöner gewesen, wenn man weniger gescheiterte Fluchtversuche und stattdessen mehr von Claires Vorgängerin
gezeigt hätte. Diese Vorgängerin wird im Film nur angedeutet, durch blonde
Haare im Ausguss der Dusche, die nicht von Claire sein können, da diese braunes
Haar hat. Oder auch durch Fotos, welche Andi von ihr gemacht haben muss, wie er
sie auch von Claire gemacht hat. Ebenfalls
zu wenig Informationen gibt der Film zur Hintergrundgeschichte des Entführers,
zwar wird diese durch den Dialog mit seinem sterbenden Vater immer mal wieder
angerissen, doch wäre es wünschenswert, wenn sie weiter ausgeschmückt werden
würde. Durch eine weitere Ausführung würde man als Zuschauer vielleicht auch
die Figur des Andi besser verstehen können und aufgezeigt bekommen, was ihn
dazu geführt hat die junge Frau zu entführen und festzuhalten.
Gute Kritik mit interessanten HiHintergrundinfos! Die Story von dem Film klingt eigentlich echt spannend, aber die unnötigen Längen die du beschreibst schrecken mich etwas ab. Mal schauen ob ich mir den Film ansehen werde, Somersault von Shortland hat mir jedenfalls schon mal gefallen :D
AntwortenLöschenHey Jana,
AntwortenLöschenDu hast auch nochmal ganz andere Aspekte betrachtet als ich - sehr interessant. Vor allem mit dem Einwand, dass man mehr über die Vorgängerin hätte erfahren sollen, gehe ich total d'accord mit Dir! Wiederum finde ich die Mischung von Thriller und Drama ziemlich spannend und gut gelungen. Was würdest Du denn für eine Gesamtwertung für "Berlin Syndrom" abgeben? :)
Beste Grüße
Jil
Hallo liebe Jil,
Löschenvielen Dank für deinen lieben Kommentar.
Alles in allem hat mir der Film ziemlich gut gefallen, deshalb würde ich wohl so 4 von 5 Sternen geben.
Liebe Grüße Jana